Page 25 - Menhir_Obermeiser
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Annette von Droste-Hülshoff

                                            (1797- 1848)


                                      Der Hünenstein

                                      Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag,
                                      Als wie ein siecher Greis die Heide lag
                                      Und ihr Gestöhn des Mooses Teppich regte,
                                      Krankhafte Funken im verwirrten Haar
                                      Elektrisch blitzten und, ein dunkler Mahr,
                                      Sich über sie die Wolkenschichte legte;

                                      Zu dieser Dämmerstunde war's, als ich
                                      Einsam hinaus mit meinen Sorgen schlich,
                                      Und wenig dachte, was es draußen treibe.
                                      Nachdenklich schritt ich, und bemerkte nicht
                                      Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,
                                      Ich sah auch nicht, als stieg die Mondesscheibe.

                                      Grad war der Weg, ganz sonder Steg und Bruch;
                                      So träumt' ich fort und, wie ein schlechtes Buch,
                                      Ein Pfennigs-Magazin uns auf der Reise
                                      Von Station zu Stationen plagt,
                                      Hab' zehnmal Weggeworfnes ich benagt,
                                      Und fortgeleiert überdrüss'ge Weise.

                                      Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,
                                      Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,

                                      Fand ich mich immer auf derselben Stelle;
                                      Da plötzlich fuhr ein plumper Schröter jach
                                      Ans Auge mir, ich schreckte auf und lag
                                      Am Grund, um mich des Heidekrautes Welle.

                                      Seltsames Lager, das ich mir erkor!
                                      Zur Rechten, Linken schwoll Gestein empor,
                                      Gewalt'ge Blöcke, rohe Porphyrbrode;
                                      Mir überm Haupte reckte sich der Bau,
                                      Langhaar'ge Flechten rührten meine Brau',
                                      Und mir zu Füßen schwankt' die Ginsterlode.

                                      Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,
                                      Und fester drückt' ich meine Stirn hinab,
                                      Wollüstig saugend an des Grauens Süße,
                                      Bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt,
                                      Bis wie ein Gletscher-Bronn des Blutes Takt
                                      Aufquoll und hämmert' unterm Mantelvließe.

                                      Die Decke über mir, gesunken, schief,
                                      An der so blaß gehärmt das Mondlicht schlief,
                                      Wie eine Witwe an des Gatten Grabe;
                                      Vom Hirtenfeuer Kohlenscheite sahn
                                      So leichenbrandig durch den Thymian,
                                      Daß ich sie abwärts schnellte mit dem Stabe.

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